deep river - Sammeln als Diskurs
Uwe Eßer | Samuel Imbach | Kazuo Katase
Vera Leutloff | Wilhelm Mundt | Sery C.
Sechs Positionen zeitgenössischer Kunst
aus der Sammlung Ralph Kleinsimlinghaus
Eine Projekt der Freunde und Förderer
des Museums der Stadt Ratingen
Der Verein der Freunde und Förderer des Museums der Stadt Ratingen freut
sich, mit der Sammlung Ralph Kleinsimlinghaus einen aufschlußreichen Einblick
in einen Aspekt aktueller Kunst geben zu können. Seit nunmehr knapp 20 Jahren
sammelt Ralph Kleinsimlinghaus konsequent Gegenwartskunst. Seine samm-lerischen
Bemühungen sind ein überzeugendes Beispiel dafür, wie mit offenem Blick für das
Neue, mit wachem Spürsinn, mit mutigem Zugreifen und eigenständiger Meinung die
Kunst unserer Zeit durch intensives Engagement demonstriert werden kann. Wir
sind dankbar, daß Ralph Kleinsimlinghaus bereit war, Teile seiner Sammlung den
Freunden der Kunst zugänglich zu machen und damit der Auseinandersetzung mit
Gegenwartskunst als das Leben mittragender geistiger Kraft einen Platz im
öffentlichen Bewußtsein zu verschaffen.
Neugierde und Staunen als Sinnesregungen galten in Antike und
Mittelalter bis hin zur frühen Neuzeit als entscheidende Voraussetzungen für
die Wahrnehmung von Bildwerken und für die Entwicklung ästhetischer Kriterien.
Mit dem offensichtlichen Untergang dieser im Laufe der Zeit Wandlungen
unterworfenen, heute gelegentlich belächelten Kriterien und veraltet
erscheinenden Begriffe ist ein ästhetisches Spannungspotential der Kunstbetrachtung
verlorengegangen, das es wieder zu entdecken gilt. Mit der rasanten Entwicklung
der Kommunikationsmöglichkeiten und der damit einherschreitenden ständig über
uns kommenden Bilder- und Informationsflut haben sich auch Kunst, Kultur und
deren Rezeption verändert. Einer derart gewandelten Welt entsprechen andere
Formen künstlerischen Ausdrucks.
Unsere Ausstellung deep river
zeigt Bilder, Skulpturen und Objekte von sechs Künstlern, die in dieser
Kombination bisher noch nie irgendwo ausgestellt waren, zum Teil noch nie
öffentlich gezeigt wurden und wenn doch, so liegt deren Präsentation schon
viele Jahre zurück. Insofern ist diese Ausstellung hier in Ratingen eine
Premiere in mehrfacher Hinsicht: Wir zeigen Kunstwerke, die vorher noch nicht
öffentlich zu sehen waren, eine Gruppenausstellung, die es bisher in dieser
Zusammenstellung noch nicht gegeben hat und zum ersten Mal einen Teil einer
Sammlung, von der bisher die wenigsten wußten, daß es sie überhaupt gibt.
Alle Kunstwerke sind im Laufe der letzten 20 Jahre entstanden. Dies ist
genau der Zeitpunkt in der Geschichte der Kunst, in dem - einhergehend mit dem
Siegeszug und der Allgegenwärtigkeit der Fotografie - ein Pluralismus zu
konstatieren ist, der alle Bereiche einbezieht, die früher - im klassischen
Sinne - nicht zum Bild der freien Kunst gezählt haben. Die Aneinanderreihung
von Malstilen und Kunstrichtungen, sogenannte »ismen« also, die wir seit dem
Impressionismus kennen, hört nach 1980 auf.
Mit dem Wegfall normierter Regelwerke als Orientierung folgen nun
vielfältige, unterschiedliche, ja widersprüchliche Auffassungen im Werk der
Künstler. Die Kunst ist dabei, alle bisherigen Grenzen zu überschreiten und
bedient sich dabei aller Mittel, die dazu geeignet sind, Kunst herzustellen.
Neben den traditionellen Disziplinen Malerei, Bildhauerei und Grafik wird nun
eine Vielfalt neuer Möglichkeiten eingesetzt: Objektkunst, Aktionskunst, Film,
Fernsehen, Video, Fotografie, Computer, Design, Licht, Laser, Architektur,
Werbung, Musik, Sprache, Gesang Theater. Künstler sehen auch keine Kluft mehr
zwischen der Kunst der Vergangenheit und der Gegenwart. Alle Stilarten stehen
in den Werken gültig nebeneinander oder vermischen sich.
Ein Blick auf die Gegenwartskunst heißt in diesem Sinne auch, einen
Blick auf unsere ereignisreiche, im Bewußtsein oft kompliziert erscheinende,
aber dennoch höchst lebendige Gegenwart zu lenken und vor Augen zu führen, wie
Künstler - quasi als Seismographen unserer modernen Gesellschaft - sozusagen
spiegelbildlich darauf reagieren, denn in der Wahrnehmung und Reflexion zu, in
und mit diesem Umfeld und der Kunst schlechthin, oft auch gerade gegenläufig
hierzu, sind diese Werke entstanden.
»Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar«, lautet
eine kluge und hellsichtige Aussage des großen Paul Klee. Dieser Satz hat
nichts von seiner Gültigkeit verloren und ist gerade heute geeignet, sich dem
Phänomen der zeitgenössischen Kunst und seiner Künstler in besonderer Weise zu
nähern. Der in seiner Zeit verankerte Künstler reagiert und agiert, in dem er
die äußere Haut der Erscheinungen durchdringt und versucht, das Innere der Welt
erkennbar und begreiflich zu machen. Seine Sicht von Welt ist nicht so, wie
andere sie sehen oder erinnern können, sondern so, wie er - der Künstler - sie
sich immer wieder neu und anders schafft.
Gerade hier und vor diesem Hintergrund zeigt sich die Qualität der
Sammlung und damit der ausgewählten Künstler, deren Werke nicht nur im
»Mainstream« der Kunstszene schwimmen, sondern neben den Haupt- auch viele
Nebenwege für sich gefunden haben. Insbesondere die Inszenierung und
Realisierung von Malerei ohne inhaltliche oder emotionale Bedeutungsaufladung,
die Erforschung der Bedingungen des Malens selbst, die Artikulation von
Farbräumen, seien sie nun gestisch pastos oder flächig, ohne Anspruch auf
jeden, wie auch immer gearteten räumlichen Illusionismus, all dies zeigt, dass
Malerei ihre Funktion nicht verloren hat, sondern sie im Gegensatz neu gefunden
hat.
Seit nunmehr 20 Jahren begleitet Ralph Kleinsimlinghaus als Sammler die
Künstler Samuel Imbach, Kazuo Katase, Wilhelm
Mundt und Sery C.; später
kamen Uwe Eßer und Vera Leutloff hinzu. »Begleiten« bedeutet in
diesem Fall, daß von dem jeweiligen Künstler wichtige Schlüssel- oder
Hauptwerke aus den verschiedenen Schaffensphasen für die Sammlung erworben
wurden. Entscheidend ist, daß durch den regelmäßigen Kauf dieser Kunstwerke
kreative Prozesse möglich gemacht wurden und auch aufwendigere Installationen
und Ausstellungen hierdurch unterstützt worden sind. In unserer Ausstellung
sind daher von den Künstlern sowohl exemplarisch ausgesuchte Frühwerke, wie
auch spätere, aktuelle Arbeiten zu finden, die auch in einer kompakten
Präsentation hier in Ratingen Schlußfolgungen über die jeweilige künstlerische
Entwicklung möglich machen.
Bei allen formal unterschiedlichen künstlerischen Artikulationen der
hier präsentierten Künstler, die sich vom klassisch gemalten Tafelbild bis hin
zum dreidimensionalen Objekt erstrecken, gibt es entscheidende
Gemeinsamkeiten: allen Künstlern ist die Verwendung und Durcharbeitung bewußt
gewählter und gesetzter Farben gemein ohne einen konkreten Inhalt einzufordern,
Flächen werden farblich durchkomponiert, Oberflächen bewußt gestaltet und in
ihrer Materialität geformt oder ausgewählt.
Ob Kazuo Katase Stahlformen
blau eloxiert, Sery C. Bildträger mit von ihm eingefärbtem
Silikonkautschuk übermalt, Samuel Imbach
geometrische Flächen auf gestische Formen stoßen läßt, oder Vera Leutloff Berge in roten oder türkisblauen
idealisierten Mustern darstellt, ob Wilhelm
Mundt seine »Trashstones« durch
mehrschichtigen Farbauftrag und darauf folgendes Abschleifen farblich
komponiert oder last, but not least Uwe Eßer
seine Gemälde im liegenden Zustand mit Acryllacken und farben schichtet, allen
gemeinsam ist die bewußt gewählte Farbe und die bestimmte verwendete Form.
Diese Kunst verlangt nicht nach inhaltlicher Deutung, noch bezieht sie
eine kunstpolitische oder soziologische Position, sie ist weder zynisch noch
dekadent oder eklektisch, sie provoziert nicht durch ihre Inhaltlichkeit,
sondern nur durch ihr bloßes Sein.
Natürlich ist eine solche Kunst nicht spektakulär und medial nur schwer
zu verwerten. Sie ist sinnlich, romantisch und läßt bei dem Betrachter eine
»offene« und mehrdeutbare Interpretation zu. Aber dies ist auch der Punkt, der
diese Kunst »verletzbar« macht: diese Bilder und Skulpturen brauchen den
»stillen« Raum, um ihre Kraft entfalten zu können, eine Bedingung, die heute
immer schwieriger anzutreffen ist. Insofern gibt der Titel dieser Ausstellung deep river die Programmatik dieser Bilder vor:
aus dem tiefen Fluß der Sammlung, in dem sie seit Jahren schlummern, werden sie
jetzt, hier in Ratingen, für kurze Zeit an die Oberfläche gespült um ihren
Glanz und Ihre Aura für die kurze Dauer dieser Ausstellung entfalten zu können.
Und so sind sie auch wieder dazu bestimmt, danach für sehr wahrscheinlich lange
Zeit wieder abzutauchen.
Der Verein der Freunde und Förderer des Museums der Stadt Ratingen, der
sich als private Initiative neben der allgemeinen Förderung des Museums seit
fast 15 Jahren im besonderen mit der Entwicklung und Durchführung von
Ausstellungen zur Kunst nach 1945 befasst, startet mit dieser Veranstaltung ein
Projekt zum Thema »Kunst-Sammeln», dem weitere Ausstellungen folgen sollen.
Unsere Konzeption geht vor allem vom sammleri-schen Aspekt der Kunst aus, der
Ausbildung von Vorlieben für bestimmte Richtungen, eigene oder fremde
Generationen, die oft freundschaftliche, aber auch kontroverse Begleitung des
Werdegangs eines Künstlers und der damit einhergehenden Schwerpunktbildung.
Ein Symposion zum Thema »Privates Kunst-Sammeln und Öffentlichkeit«
soll über die verschiedenen Ansätze zum Privaten Kunst-Sammeln informieren,
diskutieren und das Verhältnis zur Öffentlichkeit thematisieren.
Marie-Luise Otten | Ralph Kleinsimlinghaus